Samstag, 14. Januar 2017

07.01. Koloss und Kreide (Willkommen im Land zum Leben)


Der Kurzurlaub im Januar führte uns auf die bezaubernde Ostseeinsel Rügen, die sich uns reizvoll im Schnee-Winter-Mantel präsentiert.


Unser komfortables Quartier befindet sich in einer historischen Villa im legendären Bäderstil, gelegen in der mondänen Wilhelmstraße, die wiederum die Verlängerung der pittoresken Seebrücke des Seebades Sellin bildet.

Bereits am gestrigen Anreisetag, an dem wir mit der untergehenden Sonne über dem Rügendamm die Insel zum Zielbäderort durchfuhren,  nutzen wir die Gelegenheit, am frühen Abend die steile, schneebedeckte Strandtreppe zur imposanten Seebrücke hinabzusteigen, um diese in Dunkelheit vom Meerestosen untermalt zu bewundern. 

Neben dem sehenswerten Brückenaufbau mit Restauration und Türmchen wartet mit einer Tauchgondel am Ende der Brücke eine weitere Attraktion. Die Tauchgondel ermöglicht Fahrten in die Tiefen der Ostsee und weckt Assoziationen an die Berichte Jules Vernes und den berühmten Kieler Brandtaucher. Man könnte auch denken, Außerirdische hätten mit ihrer Raumkapsel am Ende der Brücke angedockt.

Die beidseitig von Bäderstil-Villen gesäumte Wilhelmstraße (auch finnische und andere Blockhäuser finden sich) versetzt die Besuchenden ein Stück weit in die goldene Zeit der Seebäder zurück.



Sie hat aber auch kulinarisch einige Vielfalt und Raritäten zu bieten (in der Sommersaison sind sicher noch mehr der jetzt eher schlummernd wirkenden Gastronomien in Betrieb ...), sodass wir uns für eine böhmische Küche entschieden, die unsere Gaumen mit Hirschbraten verwöhnte. Die gemütliche Atmosphäre sowie Anekdoten über das Essen, die Insel und Böhmen rundeten den gelungenen Abend ab.

Der Samstag begann für uns mit einem reichhaltigen, mit viel Einsatz zubereiteten Frühstück.
Das Wetter hatte zwar nicht mehr die Ausmaße des gerade überstandenen Wintersturms 'Axel' (dazu später mehr), startete aber mit einem ungemütlichen Schneesturm, der die allgemeine Orientierung und das Befahren der Straßen deutlich erschwerte.
Wir beschlossen, trotz aller Widrigkeiten das zu erwartende wenige Tageslicht für eine Ausfahrt entlag der Küste nach Norden auszunutzen und dabei sowohl die sehenswerten Orte Binz, Prora und Sassnitz zu durchqueren als auch den malerischen Königsstuhl zu erreichen, der bei einem Rügenbesuch nicht fehlen darf, was bei uns schon etwa 20 Jahre zurücklag ...

Vom schneebedeckten Binz, ebenfalls zum Teil mit Bäderarchitektur und reizvollen Sträßchen, bekamen wir einen kleinen Eindruck, setzen unseren Weg aber gleich fort zur ersten größeren Sehenswürdigkeit des Tages: dem Koloss von Prora (siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Prora).


Dieser in der Nazizeit als KdF-Seebad errichtete ungeheure Gebäudekomplex aus ursprünglich 8 insgesamt etwa 4.5 Kilometer langen Blöcken ist tatsächlich beeindruckend. Derzeit stehen davon noch etwa 5 Blöcke auf einer Länge von etwa 2.5 Kilometern.


Der Zustand der Gebäude sowie die aktuelle Nutzung (zu DDR-Zeiten war es eine Kaserne) ist dabei sehr heterogen. So sind Teile als luxuriöses Hotel mit Seebalkonen hergerichtet, es gibt Läden, Wohnungen und Appartments, eine Jugenherberge und auch ein vielfältiges Museum, deren Werbung an bunte Reklame-E-Mails erinnert, die häufig phantasievoll formuliert sind, aber doch in der Regel im Spam-Folder enden ...
So waren schon "20 Fernsehteams" dort gewesen, die "bestätigen":
  • Hoher Informationswert
  • Besucherfreundlich
Geboten wird auch ein 90 Meter langes "weißes Treppenhaus" (!).


Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung konnten wir als Nicht-Besucher (wir wollten ja noch das Tageslicht für die weitere Landpartie ausnutzen) nicht beurteilen, ob diese aus mangelnder Entscheidungsfreude oder der Vielfalt der thematischen Konzepte resultiert: KdF-Museum, NVA-Museum, Rügen-Museum, Wiener Kaffeehaus (??), Motorradwelt der DDR. Eventuell ist aber einfach die wechselvolle Geschichte der Auslöser für diese Buntheit.



Man kann sich den Urlaub dort schon attraktiv vorstellen: Nach wenigen Metern erreicht man direkt den Strand und die Ostsee, die sicher auch von vielen Zimmern und Balkonen auf der Seeseite direkt zu bewundern ist.

Einige Gebäudeteile sehen noch stark vernachlässigt aus, andere werden derzeit noch saniert.





Wir verbanden die Umrundung einiger der fünf Blöcke mit einem Spaziergang am schneebedeckten Strand.






Schließlich sollte es jedoch weitergehen in Richtung Sassnitz und den einzigartigen Kreidefelsen.

Wir gelangten auf den Königsstuhl-Parkplatz, als gerade stürmischer Schneeregen einsetzte, der etwas Überwindung beim Verlassen der Geborgenheit des warmen Fahrzeugs erforderte. Als das Radio mit "what are you waiting for" schließlich den entscheidenden Impuls gab, machten wir uns auf den Weg. Während wir uns bei dem letzten Königsstuhl-Besuch noch auf die mehrere Kilometer lange Wanderung vom Parkplatz zum Kreidefelsen begeben hatten, waren wir jetzt froh, dass ein Bus-Shuttle-Service zum Nationalpark-Zentrum Königsstuhl selbst in dieser wenig touristischen Saison angeboten wurde. Glücklicherweise hatten wir nicht allzulange in der ungastlichen Witterung auszuharren, bis der Busfahrer uns und ein paar weitere Reisende aufsammelte.


Am Königsstuhl angekommen warfen wir einen Blick durch das UNESCO-Weltnaturerbe-Fenster und wandten uns dann gleich der Aussichtsplattform des Kreidefelsens zu, die wir ganz für uns alleine hatten, da die meisten anderen Besucher die schützenden Einrichtungen des Nationalpark-Zentrums vorzogen (der Regenschneesturm hatte sich aber inzwischen gelegt).




Nicht nur die nach Victoria von England benannte 'Victoria-Sicht' beeindruckte uns mit bezaubernden Impressionen von Kreidefelsen, türkisfarbener Ostsee, schneebedeckter Küste und grau-violettem Himmel.
Die aufgrund der Wetterlage etwas umständliche Anreise hatte sich auf jeden Fall gelohnt!





Im Nationalpark-Zentrum gab es zur Stärkung zunächst eine zünftige Soljanka, die uns tüchtig aufwärmte, bevor wir uns auf die lohnenswerte multimediale Reise durch die Ausstellungsbereiche begaben (Motto: Wir machen Unsichtbares sichtbar (??)).



Das Multivisionskino wurde extra für uns angeworfen, und so begannen wir mit dem  UNESCO-Welterbe-Film „Die Wanderung der Alten Buchenwälder“ von und mit Dirk Steffens auf drei Leinwänden gleichzeitig (mit englischen Untertiteln), so dass man den Film wahrscheinlich mehrfach gucken muss, um alles gesehen zu haben ...
Der Rundgang durch die Ausstellung ist multimedial gestaltet und erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Jede Person bekommt ein eigenes Audio-Gerät, bei dem man zu Beginn zwischen verschiedenen inhaltlichen Ausrichtungen entscheidet (Neugier, Romantik, ...). An bestimmten Stellen der Ausstellung hört man dann passende Texte und andere Audio-Schnipsel. Trotz unterschiedlicher Themenausrichtung konnten wir keinen großen Unterschied in den Beiträgen feststellen.


Obwohl nur wenige andere Besucher mit uns unterwegs waren, war die Steuerung der Ausstellungsaktivitäten streckenweise etwas sonderbar. Wenn bei jemand anderem ein Text oder eine Vorführung gestartet war, setzte der eigene Ton auch "mittendrin" ein, so dass entweder der Anfang fehlte oder man bis zum nächsten Durchlauf warten musste. Auch das Beleuchtungskonzept ist optmierungsbedüftig. Große Teile der Exponate liegen im Halbdunkel, so dass Beschriftungen und Abbildungen nicht zu entziffern waren. Nach einer nicht durchschaubaren Logik sprang die Beleuchtung sporadisch automatisch an, aber in der Regel dann, wenn man sich von den beleuchteten Exponaten weg bewegte. Ich zog in Erwägung, meine Taschenlampe einzusetzen, war aber nicht sicher, ob dadurch das Ausstellungskonzept zu stark beeinträchtigt würde (man muss ja auch nicht alles sehen).


Insgesamt überzeugte die Ausstellung aber durch große Vielfältigkeit, interessante und ansprechende - auch interaktive - Exponate und Präsentationen, bei denen man viel Spaß hatte und gleichzeitig Vieles an Wissenswertem erfuhr.

Kurz vor dem Schließen des Nationalpark-Zentrums erreichten wir den Endpunkt der Ausstellung und machten uns auf den Weg zu unserem Shuttle-Bus (es war mittlerweile dunkel geworden), der uns sicher zum Parkplatz und unserem Fahrzeug brachte.
Leider konnten wir von dem Angebot, dass wir noch bis zu 40 Minuten nach Bezahlen des Parkscheins die touristischen und gastronomischen Einrichtungen des Parkplatzes nutzen dürften, keinen Gebrauch machen, da diese geschlossen waren (ist ja auch Nebensaison).

Die abendliche Rückfahrt durch das winterliche Rügen hatte auch seinen Reiz, wenn auch an die Fahrerin höchste Ansprüche gestellt wurden, die sie in gewohnt grandioser Manier bewältigte.

Kulinarisch wurde der Abend in der Kajüte beschlossen, die uns mit leckeren Fischgerichten verwöhnte.

Auch der Sonntag als Abreisetag sollte für uns nach dem reichhaltigen und stärkenden Frühstück noch einige Höhepunkte bereithalten.

Endlich kamen wir dazu, uns die Seebrücke bei Tageslicht anzusehen und die prächtigen Ausblicke auf See und Küste zu genießen.










 Kurzentschlossen entschieden wir uns zudem, gleich an der ersten Tauchfahrt des Tages mit der mysteriösen Tauchgondel teilzunehmen.

Die Tauchglocke ist von innen sehr viel geräumiger und komfortabler als von außen vermutet. Wir sollten etwa 5 Meter (?) nach unten tauchen und dabei noch einen 3D-Film über die Ostsee präsentiert bekommen. Zu diesem Zweck bekamen alle Passagiere eine 3D-Brille ausgehändigt.


Die Fahrt nach unten (und auch das Auftauchen) war schon recht beeindruckend. Leider muss man aber feststellen, dass man außer grünem Wasser von der Ostsee nicht allzuviel zu sehen bekommt. Der Film hatte einige sehenswerte Abschnitte, war aber stellenweise anstrengend zu betrachten oder wirkte unscharf. Der Alleinunterhalter erzählte allerhand zum Umweltzustand der Ostsee, spendete aber auch viel Zeit für eher weniger interessante Details. Während des Films wurden zudem die Fenster fast komplett verdeckt, so dass man einen Großteil der Tauchfahrt auch bei guter Sicht bzw. bei Meeresaktivitäten nichts gesehen hätte. Zudem wurde weder darauf hingewiesen, wann die tiefste Stelle (ca. 1 m über Grund) erreicht wurde, noch wann es wieder nach oben gehen sollte. Aufgrund der Strömung knallte die Gondel kontinuierlich gegen ihre Befestigung, so dass man immerhin kräftig durchgerüttelt wurde und die Abenteuer einer Tauchfahrt verspürte. Insgesamt ein spannendes Erlebnis, wenn auch von Betreiberseite noch besser ausbaubar.








Nach einem anschließenden längeren Spaziergang am Strand entlang der vom Sturm Axel stark in Mitleidenschaft gezogenen Steilküste und dem Rückweg durch den malerischen Ort gönnten wir uns die Einkehr in der Restauration der Seebrücke, die wir absichtlich einem Zeitpunkt mit Tageslicht vorbehalten hatten, um das Ostsee-Panorama auch gebührend genießen zu können.


Das Ambiente dort ist sehr gemütlich und stilvoll gestaltet und kam daher unserem Anliegen noch zusätzlich entgegen. Man konnte dem auf der Brücke ausgestellten Foto "Urlaubsfreuden bei Kaffee und Kuchen" von 1927 gut nachempfinden.



Dieser Kurzurlaub auf Rügen war sehr angenehm, erholsam und erlebnisreich. Man muss sich aber auch der Gefährlichkeit der Insel bewusst sein und sich nicht durch die auf Schritt und Tritt präsenten Lebensgefahr-Schilder irritieren lassen ;-)